Das sagt die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) zu den Tarifabschlüssen in der M&E-Industrie in Baden-Württemberg!
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++ wir haben diese Stellungnahme um 17:40 am 6.2. aktualisiert ++

Die IG Metall Baden-Württemberg hat in der Nacht von Montag auf Dienstag gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband Südwestmetall einen Pilotabschluss in der Metall- und Elektroindustrie vereinbart. Dieser wird
wahrscheinlich in dieser Form in anderen Bundesländer übernommen. Damit endet die Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie nach einer kurzen
Warnstreikphase. Was wurde erreicht?

+++ Cash

Für Die Monate Januar bis März erhalten die Beschäftigten einmalig 100€, Azubis erhalten nur 70€ damit bekommen sie im Verhältnis zu ihrer Vergütung prozentual eine Höhere Einmalzahlung. Ab 01.04.18 steigen die Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen der Beschäftigten um 4,3%. Für 2019 ist keine Erhöhung vorgesehen (allerdings weitere Leistungen – dazu unten mehr). Die IG Metall hatte 6% für 12 Monate gefordert. Damit liegt die Erhöhung auf 12 Monate runtergerechnet nur bei mageren 2,76% (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Westrick-Formel) zum Vergleich: die Inflationsrate 2017 lag bei 1,7 %, dabei muss noch berücksichtigt werden,
dass der durchschnittliche Warenkorb eines Lohnabhängigen einer wesentlich höheren Inflation ausgesetzt ist, als der gesamtgesellschaftliche Durchschnitt. Unterm Strich bleibt pro Jahr also nicht mal 1% mehr.

+++ Tarifliches Zusatzgeld

Es wurde eine weitere Sonderzahlung vereinbart. Sie liegt jährlich bei einem Betrag von 27,54% des Monatslohns sowie einem für alle Beschäftigten identischen Festbetrag, welcher im Juli 2019 ausgezahlt werden soll. Für 2019 wurde dieser auf 400€ (Auszubildende: 200€) festgesetzt. Der Festbetrag kann in jedem Betrieb in „wirtschaftlich schwierigen Zeiten“ verschoben, abgesenkt oder gestrichen werden. Damit erhalten Beschäftigte mit einem Monatslohn von 3.000€ brutto ein Zusatzgeld von 1226,20€.

+++ Arbeitszeitverkürzung?

Die IG Metall konnte sich nicht in der Arbeitszeitfrage durchsetzen.
Zwar erhalten theoretisch alle Beschäftigte insbesondere Schichtarbeiter sowie Beschäftigte, die Kinder unter 8 Jahren oder Pflegefälle in der Familie betreuen, die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit individuell auf 28 Stunden pro Woche zu reduzieren. Nach maximal zwei Jahren haben sie ein Rückkehrrecht in Vollzeit – oder können erneut die Arbeitszeit reduzieren. Das ist ein erster Erfolg. Allerdings erhalten die Beschäftigten keinen Lohnausgleich durch die Arbeitgeber, sondern müssen die Reduzierung aus eigener Tasche bezahlen. Stattdessen können sie das tarifliche Zusatzentgelt auch in 8 zusätzliche freie Tage umwandeln, wovon nur zwei durch die Arbeitgeber bezahlt werden.

+++ Teuer erkauft
Die Arbeitgeber jubeln, haben sie doch die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung vom Tisch. Mehr noch: Ihre Forderung nach einer Flexibilisierung und Arbeitszeitverlängerung wurde nachgekommen. Sie müssen nur maximal 10% der Beschäftigten diese „verkürzte Vollzeit“ genehmigen oder können sie ganz verweigern, falls der „Verlust von Schlüsselqualifikationen“ drohe. Gleichzeitig haben sie eine Aufweichung der 35-Stunden-Woche erreicht: Bisher konnten maximal 18% aller Arbeitsverträge mit einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche abgeschlossen werden – viele Beschäftigte arbeiteten aber trotz 35 Stunden-Verträgen bereits deutlich länger. Mit der neuen Regelung kann der Betriebsrat erst ab einer Quote von 22% überhaupt Einspruch einlegen. Nicht neu aber nicht weniger dramatisch; Falls der Arbeitgeber „Fachkräftemangel“ nachweist, kann durch eine Betriebsvereinbarung die Quote auf 30% erhöht werden. Wenn mindestens 50% der Beschäftigten im Betrieb (EG12) über 5.500€ verdienen, kann die Quote sogar auf 50% erhöht werden. Damit soll vor allem in der technischen Entwicklung die Arbeitszeit verlängert werden.
Neu hinzugekommen ist folgende Möglichkeit: Einzelne Betriebe können selbst diese Quotenregelung umgehen, indem sie auf „kollektive betriebliche Arbeitszeitvolumen“ umstellen. Damit werden alle Arbeitszeiten zusammengefasst. Möglich ist damit die Verlängerung der Arbeitszeit von z.B. drei Beschäftigten auf 40 Stunden pro Woche durch die Einstellung einer Teilzeitkraft. Der Arbeitgeberverband hat damit das Ziel der Aufweichung der 35-Stunden-Woche erreicht, die damals mit 7-wöchigen Erzwinungsstreiks erkämpft werden musste.

+++ Schönreden
Jörg Hofmann, erster Vorsitzender der IG Metall, sah im Abschluss eine Trendwende: „Dieser Tarifabschluss [markiert] eine Umkehr bei der Arbeitszeit. Viel zu lange war Flexibilität ein Privileg der Arbeitgeber. Jetzt haben die Beschäftigten erstmals verbindliche Ansprüche, sich für eine kürzere Arbeitszeit zu entscheiden – für sich
selbst, für ihre Gesundheit, für ihre Familien“. Dieser Fortschritt wurde mit der Abkehr von der 35-Stunden-Woche teuer erkauft. Die 24-Stunden-Streiks haben gezeigt, dass die Beschäftigten bereit gewesen wären, auch länger in den Ausstand zu treten. Die Durchführung eines Erzwingungsstreiks wäre damit für viele Betriebe möglich gewesen. Viele andere Gewerkschaftsgliederungen im DGB und Organisationen hatten sich mit diesem Kampf solidarisiert. Eine tatsächliche Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich oder eine reale Rückkehr zur 35-Stunden-Woche wäre ein Signal für viele andere Tarifauseinandersetzungen gewesen. Durch den Pilot-Abschluss in Baden-Württemberg wird die Chance auf den gemeinsamen Kampf um 27 Monate pausiert, Frust bei den Kolleginnen und Kollegen und den Vertrauensleuten ist damit vorprogrammiert.

+++ Lange Laufzeit
Die 27 Monate haben folgende negative Auswirkungen:
1. Es wird in einer Zeit in der die Gewinne der Unternehmen sprudeln und Arbeit ohne Ende da ist, Streiks also besonders wirkungsvoll sind dieses Mittel nicht genutzt.
2. Es wird über 2 Jahre lang keine weitere Streikerfahrung von den Kolleginnen und Kollegen gesammelt werden das kann die Motivation die während der 24 Stundenstreiks entstanden ist wieder zu Nichte machen.

+++ Wie jetzt weiter?
Dieser Tarifabschluss muss in den Tarifkommissionen aber auch im Gespräch mit KollegInnen kritisert werden, besonders zu kritisieren sind die Aufweichung der 40 Stundenquote und das kollektive betriebliche Arbeitszeitvolumen, beide Instrumente höhlen die 35-Stundenwoche weiter aus und erfüllen letztendlich genau die Gesamtmetall Forderung Flexibilität ja dann aber auch nach oben. Stattdessen bräuchte es eine kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich hin zur 30 Stundenwoche das würde die Verfügbarkeit gegenüber den Arbeitergebern tatsächlich einschränken, mehr junge Kollegen müssten eingestellt werden, auch gesundheitliche Vorteile liegen auf der Hand.

Um diese Forderung durchzusetzen müssen wir bereits jetzt in den Auswertungen der Tarifrunde die Frage nach kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich hin zur 30-Stundenwoche diskutieren und unsere Kritik am Abschluss mit dieser Perspektive verbinden.