Stellungnahme des „Netzwerk Bahn“ in der SDAJ anlässlich der vorgezogenen Tarifverhandlungen zwischen der Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Deutschen Bahn AG. 🚆✊
Die Krise ist in aller Munde. Die meisten meinen dabei nicht mehr nur eine „Corona-Krise“, sondern immer häufiger eine begonnene weltweite Wirtschaftskrise mit dramatischen Auswirkungen für die Bevölkerung
Auf den ersten Blick scheint es außerhalb des Bahn-Kosmos deshalb recht ungewöhnlich, dass die DB bereits jetzt zugesichert hat, dass es bei der Bahn keinen Stellenabbau geben wird. Doch nicht nur das: auch die 25.000 jährlichen Neueinstellungen werden fortgeführt und die vorgesehenen Milliardeninvestitionen in die Schieneninfrastruktur aufrechterhalten. Da fragt sich manch Außenstehender, ob die Bahn einen Goldesel im Keller stehen hat, von dem er bisher nichts wusste.
Warum kann die Bahn es sich in Zeiten einer solch immensen Krise leisten, derartige Zusagen zu machen? Warum wurden die Tarifverhandlungen mit derartigen Eingeständnissen eingeleitet? Hat es etwa keine Auswirkungen gehabt, dass wochenlang leere Züge durch die Republik gefahren sind? Ein Konzern, der einen gescheiterten Versuch, sich für die Börse fit zu machen und einen jahrzehntelangen Sparkurs hinter sich hat, gibt sich jetzt als großzügiger Gönner in der Krise?
Aus unserer Sicht steht hinter all dem kein freundlicher Arbeitgeber, der sich um das Wohl seiner MitarbeiterInnen sorgt – wer hätte das gedacht. Wer genauer hinsieht, versteht, welches Kalkül hinter diesen Zusagen steht.
Erstens wurden die Tarifverhandlungen, die eigentlich im März 2021 hätten beginnen sollen, in einem Hauruckverfahren vorgezogen. Dahinter steht das im Mai gegründete „Bündnis für unsere Bahn“, in dem sich das Bundesverkehrsministerium unter Andi Scheuer mit der DB AG, der EVG, dem Konzernbetriebsrat und der Sprecherausschuss als Vertreter der Leitenden Angestellten zusammengeschlossen haben, um Perspektiven für den Schienenverkehr für eine Zeit „nach Corona“ zu schaffen und die Bahn langfristig wieder auf Profite zu orientieren. Im Juni erst teilte der Vorstandsvorsitzende Richard Lutz den über 200.000 MitarbeiterInnen des Konzerns in einem Mitarbeiterbrief mit „Aus finanzieller Perspektive befinden wir uns erst am Anfang der Krise“. Die Milliardenverluste, die 2020 zu erwarten sind, werden zum Teil mit einer Finanzspritze des Bundes über 5 Milliarden Euro gegenfinanziert. Weitere 5,1 Milliarden Euro sollen von der DB selbst kommen, ca. zur Hälfte (also mit 2,25 Mrd €) durch Einsparungen bei Personalkosten.
Wo sollen die 2,25 Milliarden herkommen, wenn doch zugesagt wurde, keine Stellen abzubauen und weiterhin neues Personal einzustellen? Hier gibt es mehrere Vorstellungen (wie die Verpflichtung seinen Urlaub zu nehmen oder Einsparungen bei Führungskräften), die zum Teil auch Angriffe auf die Arbeitsqualität enthalten.
Das man damit auf die nötigen 500 Millionen Euro Einsparungen pro Jahr kommt, halten wir aber sowieso für unrealistisch, weswegen davon aufzugehen ist, dass weitere Angriffe auf die Beschäftigte vorbereitet werden, wie beispielsweise eine Arbeitszeitverkürzung oder Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich oder Kurzarbeit. Also: entweder man muss weniger arbeiten, hat aber am Ende des Monats auch weniger Geld auf dem Konto oder man muss mehr arbeiten und kriegt nicht mehr. Insbesondere in den unteren Lohngruppen ist das eine riesige Schweinerei. Hinzu kommt, dass die Forderung, keine Mehrleistungen entstehen zu lassen und den gesamten Urlaub im Jahr 2020 zu nehmen, auf Grund des bereits herrschenden Personalmangels in vielen Geschäftsfeldern nicht umsetzbar sind, ohne Abstriche im Betriebsablauf zu machen.
Doch das wirklich Gute für die Bahn ist, dass durch die gerade im Rahmen des „Bündnis für unsere Bahn“ stattfindenden Tarifverhandlungen, die Tarifverhandlungen vorgezogen werden, die im März 2021 hätten stattfinden sollen. Das Ganze ist in einer solchen Kurzfristigkeit veranlasst worden, dass Einbeziehung der Belegschaft kaum möglich war. Alle Forderungen, die hier im Interesse der Beschäftigten gestellt werden sollten, erscheinen nun in Anbetracht der gesellschaftlichen Lage als gierig. Das Mantra lautet: Die BahnmitarbeiterInnen sollen froh sein, dass sie ihre Jobs überhaupt behalten dürfen und sollen im Gegenzug alle möglichen Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen schlucken. Zwar hat die EVG ganze 40 Punkte mit in diese Verhandlungen genommen, aber es erscheint uns unwahrscheinlich, dass notwendige Forderung, wie bspw. die Abschaffung der Tarifverträge, die unter dem Mindestlohn liegen oder die Ausweitung des Kündigungsschutzes für alle Beschäftigten (nicht erst nach 2 Jahren Betriebszugehörigkeit; Stichwort: DemografieTV) sich in diesen Tarifverhandlung ohne den Druck der Belegschaft durchsetzen lassen.
Der Vorstand versucht im Schatten der Pandemie die von der EVG geforderte Entgelterhöhung abzuwehren und plant mit einer Nullrunde für die nächsten 24 Monate. Zwei Jahre lang würden die Gehälter nicht einmal an die Inflation angeglichen werden. Gar keine so schlechten Aussichten für die DB AG. Umso schlechter jedoch für ihre Beschäftigten, die während der Pandemie den Laden am Laufen gehalten haben und als „Dank“ für ihre Systemrelevanz ihren Job nicht verlieren werden. Yeah.
Damit ist zwar klar, warum die Bahn mit ihren „Zusagen“ über den Stellenerhalt nicht nett ist, sondern weiterhin profitgieriges Kalkül dahintersteckt. Aber es ist noch nicht so richtig klar, warum weiterhin Milliarden in die Schiene investiert werden, während andernorts der Kahlschlag droht – und das bei einem staatseigenen Konzern, dessen Finanzierung von den Mitteln des Bundes abhängt.
Damit wären wir bei Zweitens. Die 86 Milliarden Euro, die in den kommenden zehn Jahren in die Schieneninfrastruktur investiert werden sollen, reichen zwar nicht für die Probleme im Schienenverkehr, sind aber auch kein Pappenstiel. Sie sind auch der Grund, warum so viele neue Arbeitsplätze bei der Bahn geschaffen werden (zusätzlich zu dem Fakt, dass in den letzten Jahren versäumt wurde, sich darauf vorzubereiten, dass viele Beschäftigte ins Rentenalter übergehen werden und die Neueinstellungen zu einem großen Teil dazu dienen, die automatisch freiwerdenden Stellen neu zu besetzen). Der Bund hält aus unserer Sicht aus zwei Gründen an diesen enormen Investitionen fest. Er muss (A) in die Schieneninfrastruktur investieren, weil er das die letzten 25 Jahre konsequent nicht getan hat. Die Infrastruktur ist dermaßen kaputtgespart, dass es sich der Bund nicht weiterhin leisten kann, nichts zu tun, denn sonst können auf absehbare Zeit keine Züge mehr durch die Republik fahren, mit denen sich Profite erwirtschaften ließen. Das hat mittlerweile auch der letzte verstanden. Der Bund muss (B) jetzt schon Maßnahmen ergreifen, die in Anbetracht der anstehenden Wirtschaftskrise die Konjunktur wieder ankurbeln. Die Verträge im Bereich Infrastruktur sind entscheidend zum Erhalt der Baubranche. Fallen die Verträge weg, werden neue Probleme in anderen Bereichen geschaffen.
So läuft das eben im Kapitalismus: nicht die Bedürfnisse der Menschen bestimmen, was passiert, sondern die Profite der Konzerne. So muss man auch die aktuelle Ausrichtung der Tarifverhandlung betrachten. Die Zusage zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Einhaltung der Verträge für Bauprojekte werden nicht getroffen, weil die DB AG ein besonders zuvorkommender Arbeitgeber ist, der seine Profite dem Wohl seiner Beschäftigten unterordnet oder der etwa verstanden hätte, dass es seine Aufgabe ist, das demokratische Recht auf Mobilität bereitzustellen. Er verhält sich – auch wenn es auf den ersten Blick nicht sichtbar ist – ganz entsprechend der Logik des Kapitalismus. Again.
Trotz alledem ist es unsere Aufgabe, für die Verbesserung der Lebenslage der Menschen einzutreten. Das bedeutet, dass wir fordern, diese Tarifverhandlung nicht dafür genutzt werden, die Arbeitsbedingungen der Bahn-MitarbeiterInnen für die nächsten zwei Jahre einzufrieren. Unsere Mindestanforderungen an diese Tarifrunde sind: